Die Donau erlesen
Die Donau erlesen
Lange bevor der Film zu einem prägenden Medium für die Wahrnehmung von Landschaften, von geschichtlichen Vorgängen und von gemeinsamen Erinnerungen geworden ist war das die Literatur oder auch die Musik. Denkt man nur an die großen Fluss-Ohrwürmer, wo sofort Bilder und Schwingungen entstehen wie „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß oder die symphonische Dichtung „Mein Vaterland“ und die daraus besonders bekannten Melodie „Die Moldau“ von Bedrich Smetana, dann wird deutlich, wie Verankerungen und Wahrnehmungen entstehen, prägen und auch differenzieren. So z.B. New Orleans am Mississipi, wo der Jazz prägend geworden ist.
Die Donau im oberen Verlauf von Deutschland über Österreich, der Slowakei und Ungarn, der touristisch seit vielen Jahren als die „Straße der Kaiser + Könige“ aufbereitet wird ist dabei von ganz besonderen literarischen Zeugnissen geprägt, die sich an Mythen, an Sagen, an der Geschichte orientieren. Am Beginn steht hier sicherlich das Nibelungenlied, das Ende des 12. Jahrhunderts am Hof des Passauer Bischofs Wolfger von Erla aufgezeichnet worden sein soll. Der Zug der Nibelungen vom Rhein an die Donau, wo die Orte Plattling, Passau, Eferding, Pöchlarn, Melk, Mautern, Tulln, Wien, Hainburg und Esztergom eine besondere Rolle spielen, gilt als Deutsches Nationalepos. Ähnliche Werke sind für andere Länder und Kulturkreise beispielsweise die Odysee von Homer für Griechenland, Dantes Göttliche Komödie in Italien oder Wilhelm Tell für die Schweiz. Sie sind eingebrannt wie eine DNA und man kann auch heutzutage immer noch feststellen, dass es nicht nur die historische Faszination, sondern auch die Wahrnehmung zwischen Völkern und selbst für aktuelle Argumentationen und politische Narrative immer noch eine Rolle spielt. Damit sind wir mitten in dem, was einen europäischen Strom wie Donau immer wieder ausmacht.
Der Rhein mit seiner männlich westeuropäischen Aufladung und dagegen die Donau mit ihrer weiblich osteuropäischen Prägung. Die Donau ist die Königin Europas unter den Flüssen. Und diese Spuren findet man auch, wenn man die Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts etwas analysiert und sie als Reiseführer zum Spirit, zur Entdeckungsreise für Bayern, Österreich und Ungarn zugrunde legt. Und sobald Ungarn mit dabei ist, strahlt die Donau auch in den Mittel- und Osteuropäischen Raum, in den Balkan aus. Das ist eine sich gegenseitig befruchtende und immer wieder zerstörende Allianz, aus der man nicht herauskommt, will man auch aktuelle politische Vorgänge nachvollziehen können. Ob Kriemhild, die selige Gisela, Kaiserin Maria Theresia, Kaiserin Sissi oder auch die Nixe Isa – tief unten im Jochensteinfelsen: Es sind markante Frauenfiguren, die zum Mythos der Donau wesentlich beitragen.
Dazu kommt die Faszination des Adels mit Kaiser und Königen, Burgen und Schlössern sowie religiöse Zeugen und Zeugnisse wie Heilige, aber auch die vielen Kirchen, Dome und Klöster. Das sind die Wahrzeichen, die prägenden Element die diesem Raum seine Einzigartigkeit geben.
Kaiser und Könige – das sind märchenhaft besetzte Themen, die nicht nur Kinder faszinieren. Sie üben auch eine Faszination auf die Erwachsenen aus. Die Donau ist mit solchen mythischen, sagenhaften Stoffen besonders besetzt. So z.B. die Donaunixe Isa, die der Sage zufolge auf dem Grund des Jochensteinfelsens in einem prächtigen kristallenen Märchenschloss lebt.
Sie galt einerseits als Helferin bei Orientierungsproblemen und gleichzeitig war sie immer auch Verführung. Eine goldhaarige Schönheit, die am Rhein mit der Loreley eine Schwester hat. Sie zeigt den Schiffsleuten bei Nebel den Weg. Aber wehe, wenn diese dem wunderbaren Gesang folgen, werden sie mitgenommen und müssen auf ewig am Flussgrund verweilen. Kriegsereignisse, Schicksale, Naturereignisse, Verrücktheiten und natürlich die Erotik, der Reiz der Frauen und die Verführbarkeit der Männer – all das sind die Stoffe, aus denen die Sagen entlang der Donau entstanden sind. Zwei besonders profilierte Sagenerzähler in Oberösterreich sind Helmut Wittmann und Dagmar Fetz-Lugmayr, die die Donausagen in zahlreichen Büchern aufbereitet und gesammelt haben. Die gesamte Donau wird in einem 2007 erschienen Buch „Die Donau in Sagen, Mythen und Märchen“ auf fast 400 Seiten aufbereitet. Das zeigt, welche Fülle an Erlebnissen und Erzählungen über die Donau über die Jahrhunderte entstanden sind. Man darf gespannt sein, welche Geschichten unsere Zeit hier noch hinzufügen wird.
Hier steht an erster Stelle der 1986 erschiene Donau-Essay Band des Triester Literaturprofessors Claudio Magris. Er hat der Donau ein literarisches Denkmal gesetzt, das immer noch eine Alleinstellung hat. Trotz des eisernen Vorhangs, der die Obere Donau mit dem Südosten des Flusses bis 1989 getrennt hat, konnte er eine Gesamtdarstellung vom Donauursprung bis zum Schwarzen Meer realisieren. Herta Müller, die spätere Literaturnobelpreisträgerin, die damals noch in Rumänien lebte, hatte er bereits auf dem Radar. Aber auch seine Würdigung von Elias Canetti, einem weiteren Donau-Literaturnobelpreisträger aus Ruse beeindruckt. In Ruse in Bulgarien, weit über 1.000 Kilometer von Wien entfernt, so schreibt er, fährt man „nach Europa, wenn es hinauf nach Wien geht“. Die Gesamtwahrnehmung der Menschen entlang dieses Flusses beeindruckt immer wieder. Obwohl die Kommunikationsmöglichkeiten nicht annähernd an heutige Gegebenheiten heranreichen schufen sie dennoch ein Donau- und Europa-Bewusstsein, das kulturell, kulinarisch und politisch aus heutiger Sicht sehr beeindruckend ist und wo man das Gefühl hat, das mittlerweile die Fragmentierung dieses Raumes sich eher zurück- als fortentwickelt. In seiner Gesamt-Charakterisierung, die er auf Seite 30 dieses faszinierenden Buches vornimmt heißt es: „…Die Donau ist folglich zum Teil ein Nebenfluss des Rheins und mündet eher in die Nordsee als in das Schwarze Meer: Triumph des Rheins über die Donau, Revanche der Nibelungen gegenüber den Hunnen, Vorherrschaft Germaniens über Mitteleuropa. Seit dem Nibelungenlied stehen Rhein und Donau sich voller Misstrauen gegenüber. Der Rhein ist Siegfried, germanische Tugend und Reinheit, Nibelungentreue, heldenhaftes Rittertum, unerschrockene Liebe zum Verhängnis, deutsche Seele. Die Donau ist Pannonien, das Reich Attilas, orientalische, asiatische Flut, die am Ende des Nibelungenliedes die germanischen Werte und Tugenden untergehen lässt; indem Burgunder die ihr Schicksal – ein deutsches Schicksal besiegelt… Die Donau ist das deutsch-ungarisch-slawisch-romanisch-jüdische Mitteleuropa, das dem germanischen Reich polemisch entgegengesetzt wird: eine „hinternationale“ Ökumene, wie sie der Prager Johannes Urzidil begeistert nannte..“ .- so schreibt ein Italiener über diesen Raum. Es wird nicht einfacher werden mit Europa.
Ein Donau-Fachmann ist der Passauer Michael W. Weithmann. Seine Donaubücher bestechen mit historischer Kompetenz und erzählerischer Brillanz. Er bereitet den gesamten Fluss historisch auf und schreibt auf S. 15: „Die Donau repräsentiert in ihrer Widersprüchlichkeit die Seele Europas…Man ist gehalten, sehr weit in die Geschichte zurückzugreifen, um jene spezifische kulturelle, ethnische und religiöse Ausformung des donauländischen Vielvölkerstaates nachvollziehen zu können…“
Und ein drittes Buch, das ob seines Aufbaus und seiner ungewöhnlichen Recherche für mich einen faszinierenden Eindruck hinterlassen hat, ist der Ausstellungskatalog „Donau- Menschen, Schätze & Kulturen – eine Reise vom Schwarzen Meer zur Schallaburg) der anlässlich der großen Donau-Ausstellung 2020 auf der Schallburg in Niederösterreich erschienen ist. Hier endet die Donau an der Schallaburg in Niederösterreich. Aber es werden die Bezüge und Einflüsse gerade aus Südosteuropa besonders deutlich, die auch für die K + K Donaumonarchie, für die Entwicklung und für die Wahrnehmung des Habsburger Reiches prägend waren.
Dr. Gerd Burger hat 2018 eine literarische Donaureise verfasst. Joseph von Eichendorff, Ernst Trost, Gertrud Fussenegger oder Karl Markus Gauss möchte ich hier erwähnen. Die Donau-Literatur-Nobelpreisträger von Elias Canetti über Ivo Andric, Imre Kertész, bis zu Elfriede Jelinek zeigen, dass dieser Raum nicht auf wenige Gedankengänge verengt ist, sondern Weite hat.
Stellvertretend möchte ich Karl-Markus Gauss zitieren der unter der Überschrift „Die Lehre der Donau“ schreibt: „Nichts Neues ereignet sich, es sei denn an der Donau würde es erprobt werden, und nichts Altes kann verschwinden noch aus glücklicher Vergessenheit wieder auftauchen, das nicht schon an der Donau versunken oder gespenstisch wieder an eines ihrer Ufer trat. Ungezählte Nationalitäten haben an diesem mächtigen Strom gesiedelt, der alles gesehen hat und erlitten hat, was die mittel- und südosteuropäischen Völker zuwege gebracht oder sich einander angetan haben. Wovor uns schaudert, vor der Grimasse des Chauvinismus, dem Hass der aufeinander angewiesen, doch periodisch aufeinander gehetzten Völker, dem Fanatismus, der Enge, vor der Zerstörung der Natur, dem einebnenden Tritt des Fortschritts – dies alles finden wir an der Donau aber auch, was uns auf der Welt fasziniert: die Schönheit einer bald lieblichen, bald schroffen, oft überraschenden Landschaft; der Reichtum an Kultur, die Vielfalt an Lebensweisen, die einander unaufhörlich beeinflussen und bereichern, nicht übertrumpfen; heiter gelassene Kunst und leidenschaftliche Lust des Lebens, oft bewiesener Großmut der Menschen; ihre trotzige Kraft, wider die Vereinheitlichung das Besondere zu entfalten und auf dem zu beharren, was sie unterscheidet…Die Donau verträgt keine Hegemonie, auch nicht den hegemonistischen Anspruch des Gutgemeinten. Die Gleichzeitigkeit ist ihr historisches Schicksal und ihre Lehre. Dieser Lehre gerecht zu werden ist das Einfache, das so oft schwerfällt.“
Und dieser Spirit prägt die Literatur, ob Lyrik oder Prosa, ob Sagen, Märchen oder politische Betrachtungen, ob volkskundliches oder anthropologisches. Die Donau erlesen heißt auf alle Tretminen, aber auch Lösungsansätze für ein modernes Europa im 21. Jahrhundert zu stoßen. Und die vielen Adeligen, Kaiser und Könige, aber auch Päpste, Bischöfe und Heilige – sie alle haben in ihrem Anspruch auf Exklusivität, auf die eigene Wahrheit dazu beigetragen. Und es gab aber auch immer wieder welche, die erkannt haben, dass erst die Vielfalt, die Toleranz diesen Raum zu etwas Besonderem, zu etwas Lebenswertem und Schützenswertem macht.
Ich wünsche viel Freude und Erkenntnis, wenn Sie in die literarischen und historischen Betrachtungen des Donauraumes eintauchen.
Dazu empfehle ich:
Claudio Magris, Donau – Biographie eines Flusses, dtv Verlagsgesellschaft 1986
Michael W. Weithmann, Die Donau – Geschichte eines europäischen Flusses, Böhlau Verlag und Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2012
Donau – Menschen, Schätze & Kulturen – eine Reise vom Schwarzen Meer zur Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H., Schallaburg 2020
Emil Brix, Erhard Busek, Mitteleuropa Revisited, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2018c
Gerd Burger, Donau – eine literarische Flussreise, Dr. Peter Morsbach Verlag, Regensburg 2018
Helmut Wittmann, Das Donausteig Sagenbuch, Tyrolia Gesellschaft, 2021
Dagmar Fetz-Lugmayr, Sagenhaftes Linz: Geschichten einer Donaustadt, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2022
Prof. Georg Steiner ist pensionierter Tourismusdirektor von Linz und seines Zeichens großer Donau-Kenner und Könner. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Donau und hat in verschiedenen Projekten entlang der Donau von (Ost-)Bayern über Österreich an der Entwicklung ihrer touristischen Attraktivität und Aufladung mit großem Engagement gearbeitet. Er war viele Jahre Geschäftsführer der ARGE Die Donau – Straße der Kaiser und Könige und ist auch jetzt noch rund um die Donau engagiert.