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Gisela von Bayern oder Prinzessinnen haben’s auch nicht leicht

Gisela von Bayern oder Prinzessinnen haben’s auch nicht leicht

Die Donau bildet den Hintergrund vieler abenteuerlicher Biografien: Tollkühne Feldherren haben ihre Spuren ebenso hinterlassen wie unerschrockene Missionare, trickreiche Schmuggler und wissbegieriger Forscher. Die meisten dieser Viten erscheinen indes blass im Vergleich zum Leben der bayerischen Prinzessin Gisela, das geradezu filmreif verlief. Zugegeben, eine kitschig-romantische Märchenverfilmung würde sich nicht ausgehen, ein mitreißendes Historiendrama allerdings schon. Um das Jahr 1000 lebte es sich eben auch als Prinzessin nicht immer leicht…

Königin Gisela Statue in Nagymaros (c)wikicommons - Globetrotter19, CC BY-SA 3.0
Königin Gisela Statue in Nagymaros (c)wikicommons - Globetrotter19, CC BY-SA 3.0
Giselas Vater, Herzog Heinrich II. von Bayern
Giselas Vater, Herzog Heinrich II. von Bayern
Adel verpflichtet

Gisela stammte aus gutem, nein: aus bestem Hause. Sie wurde vermutlich im Jahre 984 oder 985 als älteste Tochter des mächtigen Bayernherzogs Heinrich II. „des Zänkers“ geboren und war damit auch Urenkelin von König Otto dem Großen. Giselas Familie zählte also zur absoluten High Society des Reiches. Sogar die Königskrone des Ostfränkischen Reiches schien in Griffweite. Gisela genoss eine Ausbildung in einem Regensburger Kloster, war vielleicht sogar Schülerin des Gelehrten Wolfgang von Regensburg. Dass adelige Mädchen unterrichtet wurden, war durchaus üblich. Freilich ging es nicht darum, Kindern durch Bildung eine möglichst eigenständige Lebensgestaltung zu ermöglichen. Im Gegenteil: Die Lebenswege waren meist schon früh vorgezeichnet und die Kinder lernten, was sie für ihre künftigen Aufgaben brauchen würden. Für Gisela war klar, dass sie als erstgeborene Tochter des bayerischen Herzogs früher oder später aus politischem Kalkül an einen Fürsten verheiratet werden würde. Mit einem gewissen Maß an Charme, Bildung, Etikette, Frömmigkeit und vor allem Hartnäckigkeit würde sie sich an einem fremden Hof zurechtfinden und bestenfalls die Interessen ihrer Familie vertreten müssen. Früher oder später würde der Tag kommen.

Die Schöne und das Biest?

Der Tag kam sehr früh. Wahrscheinlich war Gisela erst zehn Jahre alt, als sie erfuhr, an wen sie verheiratet werden sollte: Der Auserkorene war Stephan, der Sohn des ungarischen Großfürsten Géza. Die Reaktion des Mädchens ist – weil irrelevant – nicht überliefert. Wir dürfen aber davon ausgehen, dass Gisela nicht hellauf begeistert gewesen sein wird. Die Ungarn galten vielen Zeitgenossen als ein wilder Haufen, boshafte Quellen beschreiben sie als Barbaren, mehr Tiere als Menschen. Aber abseits aller Propaganda muss man zugeben: Die Ungarn waren „anders“. Kurz vor dem Jahr 900 waren sie als Reitervolk aus den eurasischen Steppen ins Karpatenbecken eingewandert. Als begnadete Reiter und äußerst versiert mit Bogen und Säbel stießen die Ungarn auf wenig Widerstand. Vermutlich behielt die stolze ungarische Elite auch ihre nomadische Lebensweise noch länger bei, ihren schamanistischen Glauben, ihre Sprache und ihre Kampfkunst sowieso. Für die christlichen Nachbarn in Bayern und Norditalien waren die Ungarn faszinierend und erschreckend zugleich. Das wussten die Reiterkrieger zu nutzen. Ob im Auftrag christlicher Finanziers oder auf eigene Rechnung überzogen sie halb Europa mit Raubzügen. Das lukrative Geschäftsmodell hatte jedoch ein Ablaufdatum. Langsam stellten sich die deutschen Könige auf die ungarische Kriegsführung ein und schlugen 955 das Hauptheer der Magyaren vernichtend auf dem Lechfeld bei Augsburg. Was folgte, war eine beispiellose Neuorientierung des ungarischen Herrschaftsgebietes. Die Stammesordnung zerfiel und der Clan der Arpaden überflügelte die konkurrierenden Familien. Sofort begann eine Umstrukturierung nach Vorbild der europäischen Monarchien, wofür man sogar christliche Missionare ins Land holte. Der „richtige“ Glaube war immerhin eine wichtige Grundlage dafür, am Pokertisch der Mächtigen einen Platz zu bekommen. Mit gutem Beispiel vorangehend, ließ Géza sich selbst und seinen Sohn Vajk 985 taufen. Letzterer erhielt dabei den christlichen Namen Stephan. Und genau diesen sollte die kleine Gisela zum Ehemann nehmen. Darauf hatten sich wohl schon ihr Vater Heinrich und Großfürst Géza als Teil eines Friedensabkommens verständigt. Als die Hochzeit dann umgesetzt wurde, war Giselas Vater zwar schon tot, doch hielt auch ihr älterer Bruder und neuer Herzog Heinrich an dem Projekt fest. Und so wurde Gisela samt Hofstaat donauabwärts ins Reich der Ungarn verschickt, wo sie den etwa fünfzehn Jahre älteren Stephan traf und die Ehe geschlossen wurde.

Reiterstandbild König Stephans I. in Budapest ©wikicommoins - Filip Maljković from Pancevo, Serbia CC BY-SA 2.0
Saint Stephen I Reiterstandbild König Stephans I. in Budapest ©wikicommoins - Filip Maljković from Pancevo, Serbia CC BY-SA 2.0In Buda 8846097322 Scaled
Giselas Bruder, König Heinrich II. © wikicommons
Giselas Bruder, König Heinrich II. © wikicommons
Trendsetterin

Wie sich Gisela am ungarischen Hof, der damals vor allem in Esztergom und Székesfehérvár residierte, eingelebt hat, ist nicht überliefert. Ihr eigener Hofstaat prägte die ungarische Umgebung sicher mehr, als es umgekehrt der Fall war. Vielleicht war es eine Art kultureller Minderwertigkeitskomplex oder kühle Berechnung – jedenfalls stand Ungarn unter Géza und dann auch unter Stephan westlichen Einflüssen sehr offen gegenüber. Auch die freundschaftlichen Kontakte zur Kirche machten sich bezahlt, denn wahrscheinlich an Weihnachten des Jahres 1000 wurde Stephan mit päpstlichem Segen zum ersten christlichen König Ungarns gewählt. Damit war man im Club der Großen angelangt. Und Gisela, mittlerweile etwa fünfzehn Jahre alt, war plötzlich Königin eines aufstrebenden Reiches. Kurz darauf entpuppte sich die Braut als noch bessere Partie als gedacht, denn ihr Bruder Heinrich wurde 1002 zum ostfränkischen König gewählt. Die junge ungarische Monarchie schmückte sich fortan mit Giselas illustrer Abstammung und Verwandtschaft. Ihren Erstgeborenen nannte das Königspaar Emmerich, eine Abwandlung von Heinrich, einen anderen Sohn Otto. Von allen Söhnen würde jedoch nur Emmerich das Erwachsenenalter erreichen. Er sollte dereinst den Thron erben.

Statue von Stephan und Gisela in Szeged ©wikicommons - Fred Romero from Paris, France, CC BY 2.0
Statue von Stephan und Gisela in Szeged ©wikicommons - Fred Romero from Paris, France, CC BY 2.0
„Apostelin Ungarns“

Bis es soweit war, hatten Stephan und Gisela aber alle Hände voll damit zu tun, genau diesen Thron gegen die Ambitionen anderer Familien abzusichern. Der Schlüssel dafür war eine enge Kooperation von König und Kirche und so stand die Missionierung der heidnischen Ungarn ganz oben auf der Tagesordnung. Die Gründung des Klosters von Pannonhalma bei Györ war dabei ein ebenso wichtiger Meilenstein wie die Einrichtung der Erzbistümer von Esztergom und Kalocsa. Nicht zufällig entstanden diese christlichen Stützpunkte entlang der Donau. Der große Strom spielte eine tragende Rolle beim Landesausbau unter König Stephan. Und welche Rolle spielte Gisela dabei? Schon aus dem 11. Jahrhundert gibt es Berichte, die die Christianisierung der Ungarn der Königin zuschrieben. Manche behaupten sogar (fälschlicherweise), dass sie selbst Stefan erst zur Taufe gedrängt habe. Die Königin wurde bisweilen geradezu zur „Apostelin“ Ungarns hochstilisiert. Das mag übertrieben sein, doch ist sie als Stifterin mehrere Kirchen und Klöster belegt. Für eine Frau ihrer Stellung und mit ihrem familiären Hintergrund und Netzwerken ist durchaus anzunehmen, dass sie eine gewichtige Rolle beim Umbau des Ungarnreiches spielte. Jedenfalls führte ihre Präsenz und die guten Kontakte nach Westen zu einer steten Einwanderung von „Fachkräften“ aus deutschen Landen nach Ungarn, von Mönchen über Kaufleute bis hin zu Rittern, die im „Wilden Osten“ ihr Glück suchten.

 

Flucht aus der zweiten Heimat

So weit die Erfolgsgeschichte. Dass Giselas Position einmal ins Wanken geraten würde, war wohl schon 1031 absehbar, als der Thronfolger und einzig verbliebene Sohn Emmerich auf der Jagd starb. König Stephan selbst war zu Lebzeiten unantastbar, aber was würde geschehen, wenn er nicht mehr da wäre? Einen Vorgeschmack bot schon das Aufbegehren von Stephans Verwandtem Vazul, der die Nachfolge beanspruchte und dafür auf Geheiß des Königs geblendet wurde. Spätere Quellen machten dafür Gisela verantwortlich und begründeten damit ein langlebiges Gegenbild zur frommen Verbreiterin des Glaubens.

1038 war es dann soweit: Nach einer fast vier Jahrzehnte währenden Herrschaft starb König Stephan. Zu seinem Nachfolger erklärte er seinen Neffen Peter Orseolo, Sohn des Dogen von Venedig. Kaum gekrönt, machte sich Peter durch ebenso willkürliche wie unglückliche Entscheidungen eine Reihe mächtiger Feinde unter den ungarischen Magnaten und Prälaten. Die Königinwitwe Gisela ließ er gar unter Arrest stellen und brach einen Krieg gegen Kaiser Heinrich III. vom Zaun. Eben dieser Heinrich III. war es dann auch, der bei einem Feldzug gegen Ungarn – Peter war zu diesem Zeitpunkt bereits gestürzt worden – die unglückselige Ex-Königin befreite und mit zurück nach Bayern nahm.

Als sich Gisela donauaufwärts auf dem Rückweg in ihre Heimat befand, war sie bereits in ihren späten Fünfzigern. Als verwitwete Adelige bot sich in einer solchen Situation der Eintritt in ein Kloster an und – wie es noch heute bei mehr oder weniger verdienten Politikerinnen und Politikern gern der Fall ist – ging sich auch bei Gisela noch ein letzter Karriereschritt aus: Sie wurde Äbtissin des Benediktinerinnenklosters Niedernburg in Passau, das von ihren immer noch ausgezeichneten Beziehungen profitierte. Gisela verstarb wohl 1060 im stolzen Alter von etwa 75 Jahren. 1908 identifizierte man ihre Grabstätte, die noch heute ein beliebtes Ziel für Pilger – zumal aus Ungarn – ist.

Die Grabstätte der Gisela, mit einem spätgotischen Hochgrab überbaut © Wikimedia Commons - Andreas Praefcke, CC BY 3.0
Die Grabstätte der Gisela, mit einem spätgotischen Hochgrab überbaut © Wikimedia Commons - Andreas Praefcke, CC BY 3.0
Statue von Stephan und Gisela in Vezsprém © wikicommons - Krystian Cieślik, CC BY-SA 3.0
Statue von Stephan und Gisela in Vezsprém © wikicommons - Krystian Cieślik, CC BY-SA 3.0
Gisela, Ungarn und Europa

In der ungarischen Geschichtsschreibung ist Gisela eine fixe Größe. Als Statue verewigt wurde sie unter anderem in Szeged, Nagymaros und nicht zuletzt in Veszprém, das sich 2023 „Europäische Kulturhauptstadt“ nennen darf. Dort, wo Gisela die Domkirche gestiftet haben und wo sie sogar residiert haben soll, wird das Andenken an die Königin besonders hoch gehalten. Alljährlich wird ein Kulturfestival organisiert, das ihren Namen trägt. Auch die vor kurzem abgehaltene Eröffnungszeremonie für die Kulturhauptstadt Veszprem stand klar im Zeichen der Gisela, die als paneuropäische Verbindungsfigur zelebriert wurde. Das könnte heute wichtiger sein denn je, denn Ungarn und Europa driften in vielen Belangen auseinander, eine Entwicklung, die für beide nur von Nachteil sein kann. In diesem Sinne könnte es tatsächlich lohnen, sich an eine Zeit zu erinnern, in der Ungarn auch und vor allem dank einer Prinzessin aus Bayern den Anschluss an Europa fand, ohne seine eigene Identität aufzugeben.

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