Wien Museum, Inventarnummer W 7983

Sisis Sehnsuchtsorte und Leidenschaften

Sehnsuchtsorte und Leidenschaften: Ein habsburgisches Frauenleben im 19. Jahrhundert

Seh ich am fernen Horizont
Ein weißes Segel gleiten;
So möcht‘ ich mit!
Seh‘ ich auf schäumend‘ Wellenross
Die Möwe lustig reiten;
So möcht‘ ich mit!
Seh‘ ich den Fischer, seebereit
Den schweren Anker lichten;
So möcht‘ ich mit!
Doch meines eig’nen Wunsches Kiel
Schließlich wohin zu richten! –
Ich weiß es nicht!

(aus „Widmung“ einem Gedicht aus dem Nordseezyklus der Kaiserin Elisabeth von Österreich. In: Sisi. Briefe und Gedichte aus ihrem Nachlass. Salzburg, Wiesbaden 2015)

Kaiserin Elisabeths Reiselust ist fast schon legendär: Selbst die Sissi-Trilogie mit Romy Schneider zeigt eine Kaiserin, die es in prachtvolle Kurorte oder auch ins wilde Ungarn zieht. In zahlreichen Gedichten wie diesem schrieb sich Elisabeth die innere Unruhe von der Seele, die sie sowohl an entlegene Paradiese als auch an zahlreiche nahegelegene k.&k.-Sehnsuchtsorte führte.

Ständig vom inneren Drang getrieben, dem starren höfischen Korsett zu entfliehen, besuchte Sisi zwar wunderschöne Orte, doch mit ihren Sehnsüchten vor Anker gehen? Dies gelang ihr leider mitnichten. Sie besaß zahlreiche Talente, die sie als Frau ihrer Zeit jedoch nie so vertiefen konnte, dass sie ihr Zufriedenheit beschert hätten.

Auf unserer Reise entlang der Donau möchten wir Orte der Monarchie besuchen, die sowohl Elisabeth als auch andere Habsburgerinnen aufsuchten, um ihren Leidenschaften zu frönen. Dabei stoßen wir immer wieder auf Ortschaften, an denen Erinnerungsstücke aus dem Lebensweg der habsburgischen Frauen ausgestellt sind. Stets behalten wir folgende Fragestellungen im Blick: Womit durfte man sich als adelige Frau im 19. Jahrhundert die Zeit vertreiben, was galt als schicklich, und wo stieß man an die Grenzen der Etikette? Genügend Geld sowie zeitlicher Freiraum waren die Voraussetzung für einen solchen Lebenswandel, doch gab es auch dann keineswegs die Möglichkeiten der freien Entfaltung, die wir heute als Frau kennen und schätzen.

Schloss Emmeram in Regensburg (c)ferienstrassen.info_kp.hausberg

Beginnen wir unsere Reise im östlichen Bayern, in Regensburg: Im dortigen Schloss St. Emmeram ging am 16. Mai 1890 das Leben von Sisis Lieblingsschwester Helene von Thurn und Taxis, geborene Herzogin in Bayern, zu Ende.

Helene war es, die Elisabeth, besuchte, als diese in den 1860er Jahren zu Kurzwecken auf Korfu weilte, und ihr bei der Genesung die wohl größte Hilfe war. Sie unterstützte die jüngere Schwester äußerst tatkräftig: Die beiden unternahmen gemeinsame Ausflüge, Helene ermunterte die kleine Schwester zum Essen und war einfach immer für sie da. Elisabeth flüchtete damals noch unter dem Deckmantel von Kuraufenthalten vom Wiener Hof – jener familiäre Kerker, der ihr keinen Halt bot und an dem es nur so von tuschelnden Höflingen wimmelte, die hinter jeder Palastecke standen. Ihr persönlicher Kreis war als Adlige äußerst begrenzt, sie unterlag ständiger Bewachung. Wie sollte man sich so frei entfalten? Was half da besser als ein Aufenthalt unter Bediensteten, die nur für ihr Wohlergehen da waren, mitsamt einer Schwester, die sich ihrer Sorgen und Nöte annahm?

Das einander herzlich zugetane Schwesterngespann unterhielten sich kurz vor dem Tod Helenes auf Schloss St. Emmeram dann auch darüber, dass sie beide schwere Schicksalsschläge überlebt, dabei jedoch immer ein gutes Herz gehabt hatten. Selbstverständlich auf Englisch, damit auch diese letzten Worte nicht vom Personal aufgeschnappt werden konnten – Englisch war damals noch nicht sehr verbreitet und galt als Geheimsprache Sisis und Helenes. Die beiden blieben bis zum Schluss auf der Hut!

Noch heute kann man das Sterbezimmer Helenes in St. Emmeram besichtigen: Dieses wurde von ihrem Sohn, Fürst Albert I., in Gedenken an seine Mutter Helene zur Schlosskapelle umfunktioniert. Ein wunderschönes historisches Juwel, das vom geteilten Leid der Schwestern erzählt.

Exkurs: Gloria von Thurn und Taxis

Die über ein Jahrhundert später geborene Fürstin Gloria von Thurn und Taxis belebt mit ihrem Ideenreichtum noch heute das einst von Helene bewohnte Schloss St. Emmeram: Dort finden auf ihre Initiative hin jedes Jahr die Schlossfestspiele und ein Weihnachtsmarkt statt; zudem ist die museale Nutzung der Fürstlichen Schatzkammer ihr zuzuschreiben. Die geborene Gräfin von Schönburg-Glauchau kann sich, im Gegensatz zu den adeligen Damen des 19. Jahrhunderts, persönlich ganz anders entfalten, was sie insbesondere in jungen Jahren auch durchaus tat: Nachdem sie mit 20 in St. Emmeram Johannes von Thurn und Taxis geehelicht hatte, für den sie ihren Traum von der Schauspielkarriere aufgab, gebar sie zwar drei Kinder und erfüllte somit all das, was man dynastisch von ihr erwartete, wurde aber durch Ehe und Kinderschar nicht wirklich sesshaft. Als dann der deutlich ältere Gemahl mit knapp 60 Jahren rund um die Welt reiste und Frau und Kinder im Schloss zurückließ, wurde Gloria zur Punk-Prinzessin: Sie trug schräge Frisuren und ebenso gewagte Kleider, feierte mit Größen wie Michael Jackson, Prince und Mick Jagger. Ein durchaus ausschweifendes und skandalöses Leben also! Hätten Sisi und Co. sich im 19. Jahrhundert so ausleben können? Wohl kaum!

Sisis Brautkranz und ihre Religion

Huldigen kann man der Kaiserin selbst im Haus Papst Benedikt XVI. – Neue Schatzkammer und Wallfahrtsmuseum des Bistums Passau (https://www.bistum-passau.de): Dort ist der prächtige Brautkranz Elisabeths ausgestellt. Wie war Elisabeths Einstellung zur Kirche; war diese für sie eine Art Ankerpunkt, etwas, auf das sie sich in stürmischen Zeiten rückbesinnen konnte? Religion als Elisabeths Leidenschaft?

Brautkranz Der Kaiserin Elisabeth, Schatzkammer AÖ, 19.10.2022

Alfons Schweiggert beschreibt Sisis Einstellung zu Gott als Patchwork-Religiosität: Alles Dogmatische lehnte sie ab, liebte jedoch religiöse Feierlichkeiten wie Kommunion, Firmung und Hochzeit umso mehr. Ohne Religion leben konnte und wollte sie nicht, doch sie erschuf sich selbige aus einer ihr ganz eigenen Mischung. So huldigte sie verstorbenen Personen, wie dem Dichter Heinrich Heine, und ging davon aus, dass Gott die Welt zwar erschuf, von da an jedoch keinerlei Einfluss mehr auf Natur und Geschichte ausübte. Wie so oft in Elisabeths Leben war also auch ihre Einstellung zur Religion von Widersprüchlichkeiten geprägt. Eine einfache Kirchgängerin, die sich von der geistlichen Obrigkeit führen ließ und sich keine eigenen Gedanken zum Thema machte, war sie mitnichten. Dass sie damit beim streng katholischen Erzhaus aneckte, überrascht also nicht!

Sisis Reiselust

Wie wir wissen, reiste Sisi also für ihr Leben gern. So ist es auch nur passend, dass die wichtigste Eisenbahnstrecke Österreichs, nämlich die Westbahn, 1860 von der k.k. privilegierten Kaiserin Elisabeth-Bahn errichtet wurde. Die Hauptstrecke führte einst von Salzburg über das oberösterreichische Linz in die Hauptstadt Wien. 1873 stellte man der Kaiserin eine eigene Reisewagengarnitur zur Verfügung, bestehend aus Salon- und Schlafwagen, samt elektrischer Beleuchtung, Heizung und Toilette. Nur das Beste für die Kaiserin von Österreich!

Die Nachbildung des Wagens kann noch heute im Sisi-Museum der Wiener Hofburg  besichtigt werden. Diese überaus luxuriöse Art des Reisens macht mitunter ganz schön neidisch, wenn auch die Unruhe der getriebenen Kaiserin sicherlich nicht immer für ausgelassene Reisestimmung sorgte.

Hofsalonwagen Kaiserin Elisabeth (c) SKB Lois Lammerhuber
Hofsalonwagen Kaiserin Elisabeth (c) SKB Lois Lammerhuber
Exkurs: Habsburgerinnen in Niederösterreich

Zwischen Linz und Wien befindet sich bekanntermaßen Niederösterreich, ein Landstrich, der die imposante Wachau und zahlreiche Schlösser, Burgen sowie Stifte beherbergt. So groß ist die Vielfalt an historischen Prachtbauten, dass ein einziger Urlaub zur Besichtigung gar nicht ausreicht. Ein Highlight ist das im Bezirk Melk liegende Schloss Artstetten. Es diente der Ex-Kaiserin Karoline Auguste, Gemahlin des verstorbenen Franz II./I., als Witwensitz.

Karoline Auguste pflegte nicht nur ihren in die Jahre gekommenen und kränkelnden Mann aufopfernd, sondern setzte sich – und das ist zu Unrecht in Vergessenheit geraten! – für die armen Leute des Volkes ein. Insbesondere die sogenannten Kleinkinderbewahranstalten wurden von ihr gefördert. Durch ihren unermüdlichen Einsatz kam es zu einer raschen Vermehrung des Kindergarten-Vorläufers. Zum Großteil flossen die Gelder, die Karoline Auguste spendete, aus ihrem Privatvermögen in die Anstalten. Ganz deutlich wird hier die Leidenschaft der Kaiserin, sich karitativ zu engagieren und damit dem Volk etwas Gutes zu tun. Sie gab ihrem Leben so in der Form Sinn, wie es sich für Damen ihres Standes schickte. Durch den wohltätigen persönlichen Einsatz für Arme und Kranke erfüllte eine Adelige ihre Pflicht gegenüber dem Herrscher, zeigte aber zugleich auch ihre christliche Güte. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten!

Die sportliche Kaiserin

Unweit vom Schloss Schönbrunn im Lainzer Tiergarten gelegen befindet sich die Hermesvilla , ein von Kaiser Franz Joseph für seine Gattin konzipierter Sehnsuchtsort, dem Elisabeth wiederum ebenso zwiegespalten gegenüberstand. Die ausladende Einrichtung ohne eigene Toilette und mit barock anmutenden Möbeln sagte ihr so gar nicht zu, sodass sie die Villa kurzerhand für ihre Zwecke umgestaltete. Im Lainzer Tiergarten unternahm sie, die Rastlose, die von ihr so geschätzten endlosen Fußmärsche, und schwamm im Hohenauer Teich nahe der Villa. Körperliche Betätigung brauchte Elisabeth wie die Luft zum Atmen, um sich den kaiserlichen Stress von der Seele zu sporteln, aber selbstverständlich auch – ganz modern – zum Erhalt ihrer Wespentaille.

Wenn wir heute davon sprechen, dass körperliche Betätigung bei Depressionen und Angststörungen hilfreich ist, da überschüssiges Adrenalin abgebaut und das Glückshormon Serotonin gefördert wird, so ist dies nichts Neues: Auch Elisabeth, die bei Hofe ewig Betuschelte und als Sonderling geltende Frau wusste bereits im 19. Jahrhundert, dass strammes Spazierengehen, Reiten, Geräteturnen und auch das Schwimmen ihr guttaten. Ihre Rastlosigkeit fand so ein Ventil, ohne das sie wahrscheinlich zu ersticken gedroht hätte. Elisabeths ständige Aktivität lässt sich als ein Davonlaufen von den gesellschaftlichen und insbesondere kaiserlichen Zwängen deuten.

Natürlich war sie auch hier stets an die Grenzen der höfischen – vor allem der schwiegermütterlichen – Akzeptanz gefesselt: So durfte Sisi während ihrer Schwangerschaften nicht ausreiten, um einen möglichen Thronfolger nicht zu gefährden, und musste sich zum Schwimmen einsam gelegene Buchten suchen, um den kaiserlichen Leib nicht Schaulustigen auszuliefern. Paparazzi gab es nämlich auch damals schon, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie heute. Doch auch im 19. Jahrhundert galt: Alles, was man in der Öffentlichkeit tat, konnte Image-Konsequenzen nach sich ziehen. Ein Drahtseilakt für Elisabeth!

Was Elisabeth mit anderen Habsburgerinnen verband, war ihre unermüdliche Kurfreudigkeit: Nacheinander besuchte sie die teuersten und schönsten Kurbäder der k.&k.-Monarchie. Wo genau sich Sisi und Co. in Österreich, aber auch in der Slowakei und in Ungarn kurten und diversen anderen Leidenschaften frönten, wird im kommenden zweiten Teil der Reihe thematisiert. Bis dahin wünsche ich allzeit kaiserliches Reisevergnügen!

Quellen

Berger, Manfred: „Frauen in der Geschichte des Kindergartens: Kaiserin Caroline Auguste.“ Online: https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/geschichte-der-kinderbetreuung/manfred-berger-frauen-in-der-geschichte-des-kindergartens/1233/ [12.10.2022].

„Fürstin Mariae Gloria“. Online: https://www.thurnundtaxis.de/familie/die-familie-thurn-und-taxis/fuerstin-mariae-gloria/ [10.10.2022].

„Gloria von Thurn und Taxis.“ Online: https://www.gala.de/stars/starportraets/gloria-von-thurn-und-taxis-21962422.html [10.10.2022].

Graf, Bernhard: Sisis Geschwister. München 2017.

„Kaiserin Elisabeth-Bahn“. Online: https://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserin_Elisabeth-Bahn [11.10.2022].

Lindinger, Michaela: „Kaiserin Elisabeths Hermesvilla. Prächtig, aber ohne Wasserklosett.“ Online: https://magazin.wienmuseum.at/kaiserin-elisabeths-hermesvilla [11.10.2022].

„Reisen, Reisen, Reisen – Elisabeths Rastlosigkeit Treibt Sie Durch Ganz Europa.“ Online: https://www.amazing-sisi.at/reisen-reisen-reisen-elisabeths-rastlosigkeit-treibt-sie-durch-ganz-europa/ [11.10.2022].

„Schloss Artstetten“. Online: https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Artstetten [12.10.2022].

Schweiggert, Alfons: Elisabeth und ihr Gott. Glaube und Aberglaube im Leben der Kaiserin von Österreich. München 2021.

„Wallfahrtsmuseum“. Online: https://www.bistum-passau.de/dom-kultur/haus-papst-benedikt [11.10.2022].

Winkelhofer, Martina: Sisis Weg. Vom Mädchen zur Frau – Kaiserin Elisabeths erste Jahre am Wiener Hof. München 2021.

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