Die hohe Schule der Lebenskunst
Die feine Lebensart an der Straße der Kaiser und Könige
Als politische Kraft ist der Adel in den digitalen Demokratien von heute bedeutungslos. Seine über Jahrhunderte kultivierte feine Lebensart übt jedoch bis heute eine mehr oder weniger heimliche Faszination auf uns aus. Gestalt nimmt diese Anziehungskraft unter anderem in der Beharrlichkeit an, mit der sich die gesetzlich längst abgeschafften Adelstitel und -prädikate wie das distinguierte „von“ im allgemeinen Sprachgebrauch behaupten. Nach wie vor liefert das Wohl und Wehe des europäischen Adelspersonals unverzichtbaren Content nicht nur für die Yellow Press, und eine royale Hochzeit bringt immer noch ausreichend Quote für eine Liveübertragung im TV.
Das liegt nicht nur am diskreten Charme der Aristokratie. Zunächst einmal sind die Grafen, Barone und Königsenkelkinder von heute ein lebender Ausdruck der kollektiven Vergangenheit. Nur wenige Familien können ihre Geschichte von der Krone des Stammbaumes bis an die Wurzeln verfolgen, wie es den meisten Adelssippen mit ihrem ausgeprägten dynastischen Bewusstsein möglich ist.
Der Adel steht aber noch für mehr als für gelebte Tradition. Nämlich für eine feine Lebensart und das Vermögen, dem Leben eine ausgesuchte äußere Form zu geben. Adelige Lebenskunst besteht in einem ausgewogenen Verhältnis von Genuss und Selbstbeherrschung, von Vernunft und Sinnlichkeit, von Raffinesse und Schlichtheit. Wie wenig die höfische Lebensart von ihrem Reiz verloren hat, zeigt sich nicht zuletzt in der Vielzahl an Stätten gehobener Gastlichkeit, die den Begriff „Hof“ im Hausnamen führen.

Dank ihrer umfangreichen Bildung und ihres hochentwickelten Geschmacks wussten viele Adelige an der Straße der Kaiser und Könige stets die feine Grenze zwischen Luxus und Verschwendung zu ziehen. Ebenso verstanden sie sich darauf, sich mit schönen und beständigen Dingen zu umgeben und Werte für Generationen zu schaffen, wie die zahlreichen Zeugnisse gehobener Lebensart an der Donau zeigen. Es ist vor allem der Adel gewesen, der die Perlenkette der Klöster, Schlösser und Kunstkostbarkeiten entlang der Donau aufgefädelt hat. Sie bezeugen die intellektuelle Fähigkeit des Adels, in Generationen zu denken und die vorhandenen Ressourcen klug einzusetzen – um sie für die Nachkommen zu erhalten und dabei idealerweise zu mehren. Sei es, indem Adelsfamilien ihre Ländereien im modernsten Sinne nachhaltig bewirtschafteten, ihre Sprösslinge mit strategischem Weitblick verheirateten oder sie in Kirche, Verwaltung und Wissenschaft Karriere machen ließen.

Zu den grandiosen Zeugnissen dieser Lebensart zählt die „hohe Burg“, die dem reizenden Donaustädtchen Visegrád ihren ungarischen Namen gab. Stolze 250 Meter über der Donau gelegen, ließ der beliebte König Matthias Corvinus (1458 – 1490) den bestehenden gotischen Bau zu einem Doppelpalast im Renaissancestil umgestalten und erweitern: Ein Palast war seiner italienische Gattin Beatrix vorbehalten, der andere ihm selbst. Dazwischen lag die Hofkapelle in Gärten, die sich Terrasse für Terrasse bis ans Donauufer hinunter erstreckten und über eine ausgeklügelte Bewässerungsanlage versorgt wurden. Das „Paradies auf Erden“, wie die königliche Heimstatt ehrfürchtig bezeichnet wurde, bot über 350 edel eingerichtete Räume samt Prunk- und Empfangshof. Erhalten geblieben ist der Herkules-Springbrunnen aus rotem Marmor.

Stromaufwärts, im nahen Bratislava, zeugt eine bemerkenswerte Dichte an Adelspalais vom kultivierten Leben und Wohnen: Das Palais der ungarisch-königlichen Hofkammer und das Primatial-Palais sowie die herrschaftlichen Stadthäuser der Familien Ballassy, Pálffy, Esterházy, Erödy, Zichy und Grassalkovič. Die Statue von Franz Liszt im Palais Keglewich steht symbolisch für die Kunstsinnigkeit der besseren Pressburger Gesellschaft. Hausherrin Babette von Keglewich förderte den ungarisch-burgenländischen Klaviervirtuosen, Komponisten, Dirigenten und Theatermann als großzügige Gönnerin.

Zwischen Pressburg und Wien fließt die Donau durch ausgedehnte, wildreiche Auen, in denen die jagdbegeisterten Habsburger phänomenale Strecken erlegten. An ihrem Reichsmittelpunkt Wien begegnen dem Reisenden die baulichen Lebenskunstwerke quasi auf Schritt und Tritt.
Einer ihr Vorgänger, der österreichische Markgraf Heinrich II – der aufgrund seiner Lieblingswende „Ja, so mir Gott helfe“ den slawisch anmutenden Spitznamen „Jasomirgott“ trug – machte Wien im 12. Jahrhundert zur Residenzstadt. Als großer und kenntnisreicher Freund der Künste gab Jasomirgott ein leuchtendes Beispiel für exquisites Mäzenatentum.
Am Wiener Hof der Babenberger, denn ihr Gast Walther von der Vogelweide als „wonnereich“ besang, gaben sich die besten Minnesänger die Klinke der Audienzsaaltür in die Hand – und darin ihre Dichtungen zum Besten: Reinmar von Hagenau und Neithart von Reuenthal Dichtungen, ebenso der anonym gebliebene Verfasser des Nibelungenliedes. Ulrich von Lichtenstein erregte gar als Drag Queen Aufsehen und ritt unter dem Applaus der Hofdamen 1227 als Venus in die Stadt ein.

So wie andernorts suchte auch der Adel in Wien die Nähe des Hofes und nahm vor allem die Herrengasse in Beschlag. Die Dichte an Palais entlang der 430 Meter kurzen Straße sucht ihresgleichen. Ihre Namen lesen sich wie das Who-is-who des altösterreichischen Hochadels, der dort ein- und ausging Im Batthyánypalais etwa – erbaut von den Orsini-Rosenbergs – pflegte der greise „edle Ritter“ Prinz Eugen von Savoyen mit der „schönen Lori“ Eleonore Gräfin Batthyány Whist zu spielen. Etliche der Palais sind heute wenigstens teilweise öffentlich zugänglich, zumal sich dort zahlreiche Repräsentanzen und Büros befinden.
Zugänglich sind auch weite Teile der nahen Hofburg, die über 600 Jahre die Residenz der Habsburger war. Wie stark auch das kaiserlich-königliche Wohnen den Moden und dem Geist der jeweiligen Epoche unterworfen ist, lässt sich nirgendwo besser sehen als hier: So gut wie jede Herrscherfamilie ließ die Burg nach ihrem bzw. dem aktuellen Geschmack um- und ausbauen.
Ein halbes Jahrtausend Bautätigkeit verwandelte das Haus in ein Labyrinth aus sage und schreibe 2.600 Räumen, Höfen, Gärten und Stallungen, in dem sich Ortsunkundige ohne Führung unweigerlich verirren.
Dass auch die Habsburger den Künsten sehr zugetan waren, zeigt die Wiener Hofmusikkapelle. 1498 von Kaiser Maximilian I gegründet, ist das Ensemble mit Mitgliedern der Wiener Philharmoniker der ältestes Klangkörper Europas.
Im Amalienburgtrakt der Hofburg – er verdankt seinen Namen der Witwe von Kaiser Joseph I, die hier 31 Jahre wohnte – richtete sich zeitweilig auch Kaiserin Elisabeth ein. Unter anderem mit einem Reck und anderen Turngeräten, an denen sie ihre Figur erhielt. Gatte Franz Joseph hatte ein eigenes Apartment daneben. So prunkvoll die Audienzräumlichkeiten, in denen er während seiner Amtszeit eine Viertemillion Besucher empfing, so spartanisch eingerichtet waren (und sind) seine Privaträume.

Mehr noch als die Hofburg ist jedoch Schloss Schönnbrunn als ehemalige Sommerresidenz der Hauses Habsburg Ausdruck eines kaiserlichen Lebensgefühls. Zu seinem Namen kam das vormalige Jagdrevier der Habsburger, als Kaiser Matthias 1619 angesichts einer Quelle „Welch‘ schöner Brunn!“ ausgerufen haben soll. Für Kaiserin Eleonora Gonzaga wurde auf den Schönbrunner Grunden zwischen 1638 und 1643 ein Schloss gebaut, das nach massiver Beschädigung während der zweiten Türkenbelagerung einem schicken Jagd- bzw. Lustschlösschen von Johann Bernhard Fischer von Erlach wich. Das vermochte in der Hochsaison den großen Hofstaat kaum zu fassen.
Unter Kaiserin Maria Theresia nahm das Anwesen seine gegenwärtigen Dimensionen an. Mit seinen 2.000 Räumen kann es Schönbrunn fast mit dem Kosmos der Hofburg aufnehmen. Jedes der zehn Kaiserkinder bekam fünf Räume zugeteilt. Der Herrscherfamilie waren rund 1.000 Angestellte zu Dienste. In Teichen und Wasserläufen wurden Edelfische für die kaiserliche Tafel gezüchtet, für die nicht weniger als 56 Köche – exklusive Bäcker, Kellermeister, Fleischhauer und Hoftafeldecker – am Herd standen. 200 Leibgardisten gewährleisteten die Sicherheit. Das Entertainment der Hofgesellschaft besorgten 140 Musikanten, die literarische Erbauung je ein deutscher und ein italienischer Hofdichter. Zu den Komponisten, die in Schönbrunn brillierten, zählen Leopold Mozart und sein damals sechsjähriges Wunderkind Wolfgang Amadeus, der die Monarchin Maria Theresia ungeniert auf die Wange küsste.
In deren Amtszeit fällt auch die Gründung des Tiergartens Schönbrunn anno 1752, der damit als der Welt ältester Zoo gelten darf.

Ihr Jagdleidenschaft frönten die Habsburger wie zuvor bereits die Babenberger auch im Lainzer Saugarten in Wien-Auhof. Kaiser Ferdinand I. kaufte ihn 1561 und ließ ihn einzäunen. Aufgrund seiner Wilddichte galt er schon unter Maria Theresias Vater Karls VI. (1685 – 1740) als „vornehmster Wildpark Europas.“ 1855 schlug ihn Kaiser Franz Josephs I. als „Lainzer Tiergarten“ endgültig dem Staatsbesitz zu und ließ Anfang der 1880er Jahre die Hermesvilla als Refugium für seine Frau Elisabeth errichten. Mit durchaus sinnlichen Hintergedanken, wie das vom berühmten Dekorations- und Repräsentationsmaler Hans Makart eingerichtete Schlafzimmer mit Motiven aus dem erotisch aufgeladenen „Sommernachtstraum“ von William Shakespeare verrät.
