Luftaufnahme Von Melk Mit Stift Und Altstadt.

Alles eine Frage des Glaubens

Alles eine Frage des Glaubens

Ein göttlicher Fluss

Die Schatzkammer des Benediktinerstiftes Melk birgt ein ganz besonderes Kleinod, das der Öffentlichkeit nur alle heiligen Zeiten präsentiert wird. Die Rede ist vom sogenannten Melker Kreuz, einem vergoldeten und mit Edelsteinen besetzten Reliquiar aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, dessen prunkvolle Ausstattung nur noch von seinem Inhalt übertroffen wird: Einem Splitter vom Wahren Kreuz Christi.

Kein Wunder also, dass dieser eifersüchtig gehütete Schatz in der Vergangenheit so manche Begehrlichkeiten weckte. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts soll ein Geistlicher Namens Ruprecht den Kreuzsplitter – damals noch in ein anderes Reliquiar gefasst – entwendet und dem Wiener Schottenstift übergeben haben. Die Melker forderten das Kreuz zurück und ein Schiedsgericht gab ihnen Recht. Nur die Wiener Bürger, so die Legende, hätten sich gesträubt, einen solchen Schatz wieder ziehen zu lassen. Also musste ein Gottesurteil her: Man legte das Kreuz in ein Schiffchen und setzte es in die Donau. Wie groß muss das Erstaunen der Wiener gewesen sein, als das Schiffchen ohne Zutun donauaufwärts bis Nussdorf trieb. 1169 oder 1170 fand es seinen Weg zurück nach Melk.

Noch ein weiteres Mal musste Gott selbst die Donau als Instrument verwenden, um einen Diebstahl abzuwenden: 1362 konnte Otto Grimsinger aus Emmersdorf gegenüber von Melk der Versuchung nicht widerstehen und entwendete das Kreuz aus der Sakristei. Allein, die Donau weigerte sich, sein Fluchtfahrzeug flussabwärts zu befördern. Er wurde auf der anderen Donauseite ergriffen und schlussendlich hingerichtet.

Die Donau als Vehikel göttlichen Ratschlusses hat eine lange Tradition. Die spirituelle Bedeutung des bedeutendsten europäischen Stromes spiegelt sich in den fischgesichtigen Steinfigurinen der jungsteinzeitlichen Vinča-Kultur ebenso wie in den dutzenden bronzezeitlichen Schwertern, die als Opfergaben in den Fluss gelangten. Schon lange vor dem keltisch-römischen Danuvius bewohnten offenbar Götter und Göttinnen die Donau, deren Namen die Wellen längst fortgetragen haben. Als sich dann der eifersüchtige Einzelgott der Christen und auch jener der Muslime im Donauraum festsetzten, war für Flussgötter kein Platz mehr. Doch wie die Legenden zum Melker Kreuz zeigen, stellten sich die Donauwellen bisweilen gerne in den Dienst ihres Schöpfers.

Das Melker Kreuz
Das Melker Kreuz
Stift Melk von der Donau aus © Dominik Heher, 2021
Stift Melk von der Donau aus © Dominik Heher, 2021
Bescheidenheit ist eine Zier

Apropos Melk und Kreuz: Oberhalb des Portals des Stiftes, das in den prächtigen Prälatenhof führt, prangt in goldenen Lettern die Inschrift ABSIT GLORIARI NISI IN CRUCE, was in etwa bedeutet: „Es liegt fern sich zu rühmen, wenn nicht im Kreuze“. Ja eh. Den barocken Bauherren, ihrerseits PR-Profis ihrer Zeit, wird bewusst gewesen sein, dass der spektakuläre Klosterbau bei dem einen oder anderen Besucher auf Kritik stoßen könnte. Zwar wird von Benediktinern kein Armutsgelübde verlangt, Bescheidenheit und persönliche Besitzlosigkeit aber durchaus. Der barocke Neubau der Anlage hingegen war nicht gerade von Bescheidenheit geprägt. Majestätisch auf einem Felsen über der Donau thronend, sollte das Stift von der Herrlichkeit Gottes zeugen – und en passant auch von der Stärke der Katholischen Kirche, die die Bedrohung sowohl durch die reformierte Kirche als auch durch den Islam erfolgreich überstanden hatte. Understatement war Sache der Barockzeit nicht. Man unterbrach sogar den umlaufenden Gebäudetrakt zugunsten einer luftigen Altane. Von der Donau aus eröffnete sich so ein möglichst unverstellter Blick auf die von Jakob Prandtauer entworfene neue Stiftskirche, das Prunkstück des Neubaus. Die exklusive Lage an der Hauptverkehrsader wollte schließlich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ästhetisch genutzt werden. Gott hat wirklich an alles gedacht.

Glaubenskämpfe

Als man in Melk kurz nach 1700 die Barockisierung des Stiftes in Angriff nahm, hatte man im habsburgischen Österreich eine breite Brust. In den zwanzig Jahren davor war es endlich gelungen, den alten Erbfeind, das Osmanische Reich, nicht nur abzuwehren, sondern Stück für Stück donauabwärts zurückzudrängen. Die christlichen Kräfte hatten im jahrhundertelangen Kampf der Religionen endlich einmal Oberwasser. Die Donau selbst war Schauplatz und Symbol dieses Disputs. Sowohl die Expansion des Osmanischen Reiches quer über den Balkan bis kurz vor Wien als auch die christliche Gegenoffensive spielten sich entlang der mittleren Donau ab. Eine wirkliche Glaubens- und Kulturgrenze markierte der Strom in diesem Konflikt hingegen nur zeit- und streckenweise.

Gekämpft wurde entlang der Donau im Lauf der Jahrtausende wahrlich genug. Um Religion ging es dabei – mit Ausnahme der habsburgisch-osmanischen Auseinandersetzungen – nur sehr selten. Im Gegenteil: Der Donauraum, zumal der mittlere und untere, war bis in die jüngere Vergangenheit von einer ungeheuren religiösen Vielfalt geprägt, die es in keiner anderen Region Europas jemals gab. Noch heute, nach all den eifrig betriebenen religiösen und ethnischen Säuberungen des 19. und 20. Jahrhunderts reihen sich mindestens sieben große Glaubensgemeinschaften zwischen Schwarzwald und Donaudelta aneinander, nicht gerechnet diverse Minderheiten. Doch selbst das ist nur ein schwacher Abglanz vom Mosaik spirituellen Lebens und religiöser Traditionen, die hier über Jahrhunderte nebeneinander existierten. Und miteinander konkurrierten, versteht sich. Eines der skurrilsten Zeugnisse des Schlagabtausches der Weltreligionen ist sicher die Kirche der gesegneten Jungfrau von Pécs: Eine mittelalterliche Kirche wurde von den Osmanen durch eine Moschee ersetzt, die wiederum die schlussendlich siegreichen Christen zu einer Kirche umwandelten.

Stift Melk – Portal mit Inschrift „Absit gloriari nisi in cruce“ © Dominik Heher, 2023
Stift Melk – Portal mit Inschrift „Absit gloriari nisi in cruce“ © Dominik Heher, 2023
Die Kirche der gesegneten Jungfrau in Pécs (c)wikicommons
Die Kirche der gesegneten Jungfrau in Pécs (c)wikicommons
Der Weg ist das Ziel

Kehren wir noch einmal zurück ins malerische Benediktinerstift Melk und zu einem weiteren Prunkstück seiner Schatzkammer: Die Mönche nennen nämlich eine Monstranz ihr Eigen, in die das Unterkiefer des Heiligen Koloman eingearbeitet ist. Koloman selbst ist eine tragische Figur, ein irischer Pilger, so sagt man, in mancher Überlieferung gar ein Prinz, der auf seinem Weg ins Heilige Land entlang der Donau bei Stockerau für einen Spion gehalten und kurzerhand gelyncht wurde. Da in der Folge Wunder geschahen, wurde den Stockerauern spät aber doch klar, dass sie keinen gewöhnlichen Mann auf dem Gewissen hatten. Alsbald schon wurde Koloman als Heiliger verehrt und sein Leichnam auf Geheiß der babenbergischen Landesherren 1014 in die Burg von Melk überstellt. Koloman war nicht der einzige Pilger. Besonders seit der Christianisierung der Ungarn im Jahre 1000 war die Donau die Hauptverbindung für alle, die auf dem Landweg oder auf dem Fluss gen Osten reisten, sei es als friedliche Wallfahrer, sei es als Kreuzritter. Die Motivation der Pilger wird sehr unterschiedlich gewesen sein, von der aufrichtigen Hoffnung durch den Besuch heiliger Stätten beseelt zu werden bis hin zu Mitläufertum und Kalkül, Sünden quasi im Spazierengehen abzubüßen. Dass eine mit Mühsal verbundene Bewegung zu einem bestimmten Ziel aber zumindest irgendetwas mit unserer Psyche macht, scheint der neue Boom des Pilgerwesens zu bekräftigen, auch wenn es den meisten Wandernden heute eher darum geht, zu sich selbst zu finden als zu Gott.

Wer findet, der suchet

Was lernen wir aus dieser bunten tour d‘horizion? Vor allem, dass die Suche nach Spiritualität den Menschen beschäftigt. Seit es uns Menschen gibt, wollen wir wissen, was die Welt zusammenhält, woher wir kommen, wohin wir gehen und warum wir eigentlich da sind. Wir sind und bleiben Suchende, auch wenn Religion und Spiritualität im Leben der meisten so gut wie ausgeklammert ist. Dieses Suchen nimmt die sonderbarsten Formen an, von tiefer innerer Frömmigkeit bis zur protzigen Zurschaustellung des eigenen Glaubens, von der verzweifelten Verteidigung der eigenen Ansichten bis hin zur rücksichtslosen Unterdrückung Andersgläubiger, vom Glauben an Wunder bis hin zum politischen Ausschlachten derselben, vom fleißigen Pilgern bis zum Sammeln skurriler Reliquien. Wenn sich all diese Facetten schon auf einem einzigen Felssporn in Melk finden lassen, um wie vieles ergiebiger muss sich dann eine Reise entlang der Donau bis zum Delta erweisen? Eine bescheidene Antwort darauf bietet meine TransDanube Travel Story „Donau für die Seele“ , die die hier umrissenen Gedanken weiterspinnt und den mittleren und unteren Donauraum zum Labor macht. Zu einem Labor, in dem sich die verschiedenster Annäherungen an das Übernatürliche betrachten lassen, in dem aber auch die eigene Einstellung zu Glauben und Spiritualität beprobt werden kann. Und so vermag vielleicht eine Reise entlang des europäischsten aller Flüsse weit inspirierender sein als bloßes Sightseeing, sofern man empfänglich ist für all jene Spuren, die andere Suchende schon vor uns hinterlassen haben. All jenen aber, die sich selbst gar nicht als Suchende empfinden, seien die berühmten Worte Michel de Montaignes ans Herz gelegt: Wenn man mich fragt, warum ich reise, antworte ich: Ich weiß wohl, wovor ich fliehe, aber nicht, wonach ich suche.

Heiliger Koloman (c)wikicommons
Heiliger Koloman (c)wikicommons
Zum Autor: MMag. Dr. Dominik Heher

Dominik Heher lebt als freiberuflicher Ausstellungskurator und Autor in Ybbs an der Donau in Niederösterreich. Abgesehen vom täglichen Blickkontakt mit dem großen Strom vom Fenster seines Homeoffice ist er der Donau vor allem seit dem Ausstellungsprojekt „Donau. Menschen, Schätze & Kulturen“ (Schallaburg 2020) eng verbunden.

Autor, MMag. Dominik Heher
Dominik Heher
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Die Transdanube Travel Stories

Auf unserem Blog sind nun zu allen sechs, im Rahmen des INTERREG Projektes „Transdanube Travel Stories“ erschienenen Geschichten, auch Blogbeiträge erschienen. Wer sich für das Projekt näher interessiert, findet alle erarbeiteten Dinge auf der offiziellen Website, Reiseprogramme und Videos zu den Routen findet man auf der Website der Danube Pearls. Alle Partner und Links gibt es hier nachzulesen.

Die Transdanube Travel Stories sind auch als PDF-Buch erschienen in Deutsch und Englisch. Sie erzählen über die Themen, die die Donau charakterisieren und über die Geschichte, die sie erzählt: Religionen, Natur, Kunst, Kultur und Architektur, über Europa-Politik und Handel, sowie die Römer.

Merkliste für die Reiseplanung
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